CGMS und Krankenkassen: läuft da was?

Andreas Karch von der BARMER GEK über die Möglichkeiten

Sie haben Erfahrung mit CGMS? Lassen Sie uns teilhaben! Klicken Sie hier!

Am Beispiel der Kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) sollen Möglichkeiten beschrieben werden, die eine Kostenübernahme in Einzelfällen begründen. Die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland unterliegen den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches (SGB). Es stellt sich eigentlich immer erst die Frage, was das neue Produkt darstellt. Was ist eigentlich CGM? Handelt es sich um ein Hilfsmittel, ein Medizinprodukt, ein Arzneimittel oder sogar um eine Leistung im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit?

Daher muss man zunächst die Begrifflichkeiten „Aufnahme ins Hilfsmittelverzeichnis“ in Abgrenzung zu der „Bewertung von neuen Untersuchungs und Behandlungsmethoden“ (NUB) kurz darstellen. Aus meiner Sicht ist eine klare Abgrenzung zwischen CGM zur retrospektiven Analyse durch den behandelnden Facharzt (mögliche Kostenübernahme als NUB) und CGM mit Echtzeitauswertung (Hilfsmitteleigenschaft durch selbstständige Therapieentscheidungen durch den Patienten) nicht möglich. Es wird in fast allen Fällen Überschneidungen geben, da letztendlich bei temporärem Einsatz immer der Diabetologe anhand der Auswertungen und Dokumentationen eine Therapieanpassung vornimmt.

Bei Einführung eines neuen Produktes beantragt der Hersteller beim GKV Spitzenverband die Aufnahme ins Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V. Dieser trifft die Entscheidung über die Aufnahme. In der Regel wird der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) zur Prüfung folgender Gesichtspunkte eingeschaltet.

  • Funktionstauglichkeit und Sicherheit (durch CE Kennzeichen grundsätzlich erfüllt)
  • nachgewiesener medizinischer Nutzen
  • indikations- oder einsatzbezogene Qualitätsanforderungen
  • Infos in deutscher Sprache für eine ordnungsgemäße und sichere Handhabung
  • Regelung von Anforderungen, zusätzlich zur Bereitstellung zu erbringender Leistungen


Bei einer positiven Entscheidung wird eine 10 stellige Hilfsmittelpositionsnummer vergeben, die eine genaue Produktzuordnung ermöglicht. Dazu wird festgelegt bei welchen Indikationen durch die Krankenkasse eine Kostenübernahme erfolgen kann.

Mit der Erstellung des Hilfsmittelverzeichnisses war ursprünglich beabsichtigt, eine exklusive „Positivliste“ derjenigen Hilfsmittel zu erstellen, für die eine Leistungspflicht der Krankenkassen bestehe. Nicht gelistete Produkte sollten dabei von der Leistungspflicht ausgenommen sein, unabhängig davon, ob sie den Qualitätskriterien des Verzeichnisses entsprächen. Dieser Rechtsauffassung und der Praxis der Krankenkassen, die Kosten für ein Hilfsmittel nur dann zu übernehmen, wenn es im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt ist, hat das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil 03.08.2006 Az.: B3KR25/05R widersprochen.

Andreas Karch

Andreas Karch

Der GKV Spitzenverband, der das Hilfsmittelverzeichnis erstellt und darüber entschieden hat, was dort aufgenommen wird, hat dafür keine gesetzliche Ermächtigung erhalten, eine Leistungspflicht gegenüber den Versicherten im Sinne einer "Positivliste" festzulegen. Das BSG geht vielmehr davon aus, dass es nicht Aufgabe des Hilfsmittelverzeichnisses sei, abschließend darüber zu befinden, welche Produkte der Versicherte im Rahmen der Krankenbehandlung beanspruchen könne. Es stelle vielmehr nur eine unverbindliche Auslegungshilfe dar. Deswegen kann eine Kostenablehnung nur mit der fehlenden Nennung im Hilfsmittelverzeichnis nicht begründet werden.
Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 SGB V (NUB) dürfen in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Empfehlungen abgegeben hat über

  1. die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung,
  2. die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen zur Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und
  3. die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung

  • Die Antragsstellung beim G-BA erfolgt durch einen der gesetzlich vorgesehenen Antragsberechtigten, z.B. GKV Spitzenverband
  • Danach erfolgt das Bewertungsverfahren durch den G-BA. In der Regel wird das IQWiG mit der Bewertung beauftragt.
  • Sollte nach 6 Monaten keine Entscheidung gefallen sein, „reklamiert“ der Antragsteller. Nach weiteren 6 Monaten ohne Beschluss, darf die NUB zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden.

Die CGM Methode ist noch nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss beraten worden. Die sozialmedizinische Begutachtung durch den MDK erfolgt gemäß den „Vorläufigen Hinweisen für die Begutachtung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 Az. 1 BvR 347/98“. Die Aussage des Urteils lautet zusammengefasst:

Wer in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert ist, hat einen verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf freie Wahl der Arznei- und Hilfsmittel zum Schutz seines Lebens. Im Notfall (lebensbedrohliche Situationen) müssen Krankenkassen auch alternative Behandlungsmethoden bezahlen, selbst wenn sie nicht als gängige Methode im Leistungskatalog der Kassen aufgeführt sind.

L e i t s a t z
zum Beschluss des Ersten Senats
vom 6. Dezember 2005
1 BvR 347/98

Es ist mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

Gerne möchte ich an dieser Stelle auf das für die Kassen zu beachtende Wirtschaftlichkeitsgebot hinweisen, unabhängig ob wir über Hilfsmittel und/oder neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sprechen. Es soll aufzeigen, dass die Kassen hierfür einen klaren gesetzlichen Prüfauftrag haben. Dazu füge ich Auszüge aus dem Sozialgesetzbuch bei.

(1) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.
(3) Hat die Krankenkasse Leistungen ohne Rechtsgrundlage oder entgegen geltenden Recht erbracht und hat ein Vorstandsmitglied hiervon gewusst oder hätte es hiervon wissen müssen, hat die zuständige Aufsichtsbehörde nach Anhörung des Vorstandsmitglieds den Verwaltungsrat zu veranlassen, das Vorstandsmitglied auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat das Regressverfahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat
.

Aktuell haben wir die Situation, dass durch den GKV Spitzenverband eine Aufnahme von CGM ins Hilfsmittelverzeichnis nicht erfolgen kann. Man ist dort zu der Entscheidung gekommen, dass CGM kein Hilfsmittel, sondern als Bestandteil eines neuen Diabetestherapiekonzeptes eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode gemäß § 135 SGB V darstellt und im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung dem Erlaubnisvorbehalt durch den G-BA unterliegt und daher grundsätzlich nicht abrechnungsfähig ist. Gegenwärtig überprüft der GKV Spitzenverband gemeinsam mit dem Medizinischen Dienst der Spitzenverbände (MDS) anhand der verfügbaren wissenschaftlichen Literatur die Möglichkeit eines Antrages auf Methodenbewertung beim G-BA Dieser wird sich dann mit der Thematik beschäftigen, die Studienlage beurteilen und Empfehlungen erarbeiten. Parallel hierzu wird auch eine Expertengruppe der MDK Gemeinschaft die CGM Technik detailliert bewerten.

In Bezug auf Sensortechnik gibt es sehr viele Meinungen und Standpunkte. CGM stellt für die Diabetologie sicherlich eine große Chance dar, birgt allerdings bei nicht richtiger Handhabung, Schulung, Einweisung und Nachhaltigkeit auch sehr große Risiken. Viele der immer wieder genannten „Sensor Indikationen“, wie schwere Hypoglykämien mit Fremdhilfe, nachgewiesenen Hypoglykämie Wahrnehmungsstörungen, instabile Stoffwechsellage, trotz intensiver Bemühungen, lassen bei der Beantragung einen sehr großen Ermessensspielraum zu. Es müssen aber zunächst Anforderungen und Voraussetzungen an Patienten und Verordner formuliert werden. Hier sind insbesondere die Punkte der strukturierten Schulungs- und Trainingsprogramme, Ausschöpfung aller vorgelagerten Maßnahmen, adäquate BZ Messung mit aussagekräftiger Dokumentation und festgelegte Behandlungsziele zu nennen. Verweisen möchte ich in Bezug auf Compliance, Protokollierung usw. auf die Mitwirkungspflicht des Patienten (§§ 60 ff. SGB I) und mögliche Folgen fehlender Mitwirkung. Auch müsste bei der Empfehlung durch den G-BA festgelegt werden, dass die Verordnung nur durch speziell ausgebildete Diabetologen (stationär und ambulant) mit CGM Erfahrungen/Kenntnisse erfolgen darf. Auch das Thema Nachhaltigkeit und die Nutzung der Parameter zur Therapieanpassung müssen einen sehr hohen Stellenwert einnehmen.

Dadurch und weil es im Leistungskatalog der Krankenkassen keine Regelungen zu CGM gibt, muss jeder Einzelfall durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) sowohl auf die medizinische Notwendigkeit, wie auch auf die Ausschöpfung der bisherigen Therapie überprüft werden. Bei bestätigter Indikation kann dann als Einzelfallentscheidung auch eine Kostenübernahme erfolgen, obwohl momentan keine Listung im Hilfsmittelverzeichnis erfolgt ist (BSG Urteil aus 2006) oder eine Entscheidung durch den G-BA in Bezug auf NUB getroffen wurde (Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus 2005).

Falls aus Sicht des MDK die Voraussetzungen und Indikationen jedoch nicht vorliegen oder die bisherige Diabetes Behandlung nicht ausgeschöpft ist, erfolgt durch die Krankenkasse eine Ablehnung des CGM Antrages. Der Patient hat nun gemeinsam mit seinem behandelnden Diabetologen die Möglichkeit im Rahmen eines Widerspruches die eigene Sichtweise zu beschreiben und weitere medizinische Unterlagen einzureichen. Verbleibt es auch nach dieser Prüfung bei der bereits ausgesprochenen Ablehnung, kann der Patient den Weg zum Sozialgericht wählen. Selbstverständlich sollte vorher jeder Versuch unternommen werden eine gemeinsame Lösung zu finden und über Kompromisse einen Konsens zu erzielen.

Abschließend wurde die Frage gestellt „Welche Forderungen Krankenkassen an innovative Entwicklungen im Allgemeinen und an die kontinuierliche Glukosemessung im Besonderen stellen.“

Wir begrüßen ausdrücklich Innovationen, die in der Diabetestherapie dazu beitragen die Stoffwechsellage zu verbessern und den Patienten bei seinem Selbstmanagement unterstützen. Ein gemeinsames Ziel muss weiterhin sein, dass durch eine gute Einstellung, mittel- und langfristig, Folgeerkrankungen minimiert werden. Eine Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes muss aber gewährleistet sein. Dafür bedarf es jedoch klarerer Richtlinien bei Anforderungen, Indikationen und Voraussetzungen der CGM Therapie. Hier gibt es nach wie vor noch sehr viele offene Fragen und Unstimmigkeiten. Insbesondere die Fragestellung, hinsichtlich der Ausschöpfung der bisherigen Therapie, stellt einen Kernpunkt dar. Zu beachten ist aber auch die Compliance bei der Dokumentation, der für die Therapie dringend notwendigen Werte. Eine Implementierung von neuen und innovativen Maßnahmen in die Anforderungen der Sozialgesetzgebung ist unerlässlich. Eine aussagekräftige Studienlage ist zwingend erforderlich.



Andreas Karch ist seit 1984 bei der BARMER und seit Anfang 2000 in der Hauptverwaltung bundesweit verantwortlich für den Bereich Hilfsmittelberatung und Diabetesmanagement. Er ist u.a. Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Technologie (AGDT/Arbeitsgruppe CGM) der Deutschen Diabetesgesellschaft.

Tel. 018500-31-1313 oder 0621-1700131-1313
andreas.karch@barmer-gek.de




CGMS - die Zukunft der Selbstkontrolle?

Home